Jürgen Trittin kommentiert das Manifest „Aufbruch und Wandel“ von Konrad Ott
Das Manifest von Konrad Ott und anderen ist ein Beitrag für eine wichtige Debatte der politischen und gesellschaftlichen Selbstverständigung. Nämlich darüber, wie es gelingen kann, in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten und angesichts des Klimawandels, wachsender Ressourcenkonflikte und sozialen Desintegrationsprozesses ein „window of opportunity“ zu erzeugen und zu nutzen, um eine umfassende wirtschaftspolitische Reformstrategie ins Werk zu setzen: einen grünen New Deal.
Schon jetzt merken wir, dass sich der Krisendiskurs schleichend, aber mit verheerenden Konsequenzen verändert. Die Entrüstung über Fehlentwicklungen am Finanzmarkt und über das Gebaren wichtiger wirtschaftlicher Akteure war Ende letzten Jahres ebenso groß wie das Entsetzen über die Folgen. Die politischen Antworten fielen da schon deutlich hinter die gewonnenen Einsichten zurück. Mit großer Geste wurden von der Regierung meistens nur kleinmütige Taten ins Werk gesetzt, die selten die gewünschte Wirkung zeitigten. Anstatt die Krisenbekämpfung für einen Neuanfang zu nutzen, wurde in Deutschland sehr viel Geld in altes Denken investiert. Statt unserer Wirtschaft ein neues Fundament zu geben, wurden die Risse im alten nur notdürftig gekittet.
Die nächste Krise ist vorgezeichnet
Die Folgen der Krise schlagen sich erst jetzt am Arbeitsmarkt nieder, und wir müssen mit einer „zweiten Welle“ der Krise rechnen. Politik und Wirtschaft scheinen aber schon wieder auf „business as usual“ umgeschaltet zu haben. Statt zum Beispiel endlich in Europa eine einheitliche Bankenaufsicht durchzusetzen, haben die Regierungen die Grundlage dafür gelegt, dass laxe nationale Finanzmarktregulierungen erneut zur standortpolitischen Stellschraube werden können. Die nächste Krise ist so vorgezeichnet.
Gerade deshalb ist das Manifest von Konrad Ott u. a. so wichtig: Die Suche nach Ursachen mahnt uns, nicht einfach zurückzukehren in das altes Denken und alte Verhaltensweisen. Die Vision der Unterstützerinnen und Unterstützer zeichnet eines aus: Der grüne New Deal, den sie skizzieren, ist etwas anderes als eine Blaupause für ein besseres Konjunkturpaket. Es ist das Plädoyer für eine umfassende wirtschaftspolitische Kurskorrektur und dafür, die Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes in den Blick zu bekommen. Vor allem aber sind die Vorschläge eines: sehr konkret.
Diskursimpulse, die wir brauchen
Es ist gut, dass es immer noch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt, die sich auch als politische Intellektuelle verstehen und den Anspruch erheben, in politische Prozesse und gesellschaftliche Debatten zu intervenieren. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Wort ergreifen, um damit Ziele von Bündnis 90/Die Grünen zu unterstützen, freut und ehrt uns das besonders.
Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Manifest auch Mahnung an meine Partei ist, dass sich politische Antworten und Parteiprogramme immer auch an grundlegenden Fragestellungen messen lassen müssen. Die Frage nach umfassenden und realistischen Reformkonzeptionen müssen wir immer wieder neu stellen und beantworten.
Wie wollen wir leben? Wie bringen wir Wirtschaft und Umwelt in Einklang und schaffen neue Arbeit mit Zukunft? Wie ermöglichen wir mehr Teilhabe in einer blockierten Gesellschaft? All das sind wichtige Themen im „grünen Neuen Gesellschaftsvertrag“, dem Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen. Die Antworten, die das Manifest von Konrad Ott auf diese Fragen anbietet, sind unseren Antworten oft ähnlich, in einigen Fällen sind sie identisch, in anderen unterscheiden sie sich deutlich. In jedem einzelnen Fall aber laden sie ein zu einer intensiven Auseinandersetzung. Der Text gibt damit einen Impuls für eine wichtige politische Debatte. Und je mehr Menschen sich finden, die sich diesen Text zu Eigen machen, desto mehr Gewicht wird er entfalten.
- Manifest Aufbruch und Wandel
von Konrad Ott u.a.